Der Grieche Vlassis Caniaris (1928-2011) ist in seinem Heimatland einer der bekanntesten Künstler seiner Generation. So präsentiert er 1958 die erste Ausstellung abstrakter Gemälde in Griechenland, reibt sich Zeit seines Lebens mit klassischen Vorstellungen vom Bild, äußert sich auch mit seiner künstlerischen Arbeit kritisch zu politisch-gesellschaftlichen Fragen und etabliert früh einen Materialumgang, der das objet trouvé auratisch auflädt. Außerhalb seines Heimatlandes jedoch fällt ihm heute eher der Status eines „Künstler-Künstlers“ zu – d.h. internationale Künstler*innen kennen und schätzen sein Werk, im heutigen Kunstbetrieb aber ist es, nach großen internationalen Ausstellungen von den 1960er bis 1990er Jahren, eher in Vergessenheit geraten. Nach seinem Tod Anfang 2011 widmet die GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst ihm nun seine erste institutionelle Einzelausstellung außerhalb Griechenlands seit 1992, um hoffentlich die verdiente Wiederentdeckung einzuleiten.
Caniaris’ Werk beinhaltet eine immense formale Entwicklung und inhaltliche Vielfalt. Es erarbeitet sich einen eigenständigen Pfad durch die ästhetischen Fragestellungen seit den 1950er Jahren, der sich deutlich unterscheidet von den Resultaten seiner Zeitgenossen (etwa Robert Rauschenberg, Jasper Johns oder Cy Twombly). Nach dem Studium konzentriert sich Caniaris während seines Aufenthaltes in Rom (1956-1960) zunächst noch ganz auf das zweidimensionale Bild – sich dabei schrittweise von der Gegenständlichkeit (Athens (Zoro), 1956) zur Abstraktion und zu einer Öffnung der Bildfläche in den Raum entwickelnd (Space within Space und Proposal for a Space, beide 1960). Kennzeichnend bleibt bei all seinen formalen Experimenten immer das Andocken an zeitaktuelle, gesellschaftliche Fragestellungen: Der Tod von 400 Grubenarbeitern im belgischen Bergwerk Marcinelle (Le Catastrophe de Marcinelle, 1957) oder die politische Situation Griechenlands und der Bauboom der Nachkriegszeit (Hommage to the Walls of Athens, 1959).
Mit der Entdeckung von Maschendraht, Gips und Kleidung findet er in seiner Pariser Zeit (1960-1967 und 1969-1973) zu Materialien, die ihm neue Wege öffnen. Nun sucht er die Bildfläche vollends aufzulösen, öffnet sich dem Dreidimensionalen, der Materialassemblage und dem objet trouvé, auch hier immer intensiv verbunden mit einer politisch und gesellschaftlich engagierten Haltung (Back and Forth, The Medal and Us, Only this, alle 1962, Coexistence, 1964, Probable Architectures, 1965, und Untitled, 1966).
Durch die politische Situation seines Heimatlandes (in das er 1967 zurückkehrt, um 1969 jedoch aufgrund seiner entschiedenen Haltung gegen die Junta zur Rückkehr nach Paris gezwungen zu werden) und sein DAAD-Stipendium in Berlin (1973-1975) verstärkt sich neben dem Interesse an formalen Fragen auch die gesellschaftskritische Dimension seiner Arbeiten. Themen wie „Demokratie“ und „Freiheit“, „Migration“ und „Heimatlosigkeit“, „Restriktion“ und „Konsum“ zeichnen schon früh ein Bild unserer Gesellschaft, das rund vierzig Jahre später durch die globale Wirtschaftskrise eine traurige Aktualität zurück erlangt (Perspective, 1971, Possible Background, Untitled und Child’s Room, alle 1974).
Seit den 1980er Jahre lässt die Quantität von Caniaris’ künstlerischer Produktion durch die Zweifel, Gesellschaft durch Kunst wirklich verändern zu können, deutlich nach. Sein Interesse am Theater, das sich schon während des Studiums in zahlreichen Bühnenbildern äußert und auch an Arbeiten wie Possible Background oder Child’s Room abzulesen ist, schlägt sich nun verstärkt in der Inszenierung ganzer Räume, ganzer Environments nieder, die nach seinem Tod und angesichts der Räumlichkeiten der GAK für die Bremer Ausstellung nicht zu rekonstruieren waren. Qualität und Themensetzungen aber bleiben auch in den Skulpturen und Gemälden des Spätwerks nachvollziehbar: Der Kampf mit dem Bild und die Idee einer Kunst, die sich in gesellschaftliche Fragestellungen einmischt, sich immer wieder neu definiert und anti-elitär verortet (Whatever the people want…, 2003, Untitled, 2004, und Observer of History, 2006).
Caniaris’ Bildsprache ist überaus eigenständig und auch heute noch überraschend aktuell. Beteiligungen an der Biennale Venedig (1988) und der Documenta 6 (1977) sowie zahlreiche Einzelausstellungen (z.B. Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (1970), Moderna Museet Stockholm (1972) oder ICA Institute of Contemporary Arts London (1976)) tragen dem schon früh Rechnung. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren entwickelt er einen Formen- und Materialkosmos, der bedeutende Künstler/innen bis heute beeinflusst. In seinen Objekten und Installationen findet sich ein Materialumgang, wie er heute in zeitgenössischen Werken etwa von Kai Althoff, Jimmy Durham, Isa Genzken oder Cathy Wilkes etabliert ist. In seiner Funktion als wesentlicher Impulsgeber für eine jüngere Generation Kulturschaffender zeichnet die GAK das Werk von Vlassis Caniaris in seinen wichtigsten Entwicklungsbeispielen nach.
Kuratiert von
Janneke de Vries
Veranstaltungen
Fr 28.09.12, 19 Uhr
Eröffnung
Di 04.10.12, 19 Uhr
Führung mit Yvonne Bialek
Di 25.10.12, 19 Uhr
Janneke de Vries und Giti Nourbakhsch:
Gespräch
Di 13.12.12, 19 Uhr
Führung mit Janneke de Vries
Förderung
Der Senator für Kultur, Freie Hansestadt Bremen, Deutsche Factoring Bank, Karin und Uwe Hollweg Stiftung, DAAD