Doch alle eine Insel? ist eine Annäherung an den öffentlichen Raum anhand der Bilder, die ihn formen. Diese Bilder sind einerseits diejenigen, die uns der öffentliche Raum präsentiert, gleichzeitig und in Wechselwirkung aber auch die (Welt)Bilder, mit denen wir in ihn treten. Sie sind geprägt von Ein- und Ausschlüssen, Macht- und Gewaltstrukturen, Konsum, Geschichte(n) und Repräsentation. Doch alle eine Insel? geht seit Mai 2023 als Ausstellung, Recherche und Gesprächsreihe den Bildern nach, die wir uns stattdessen vorstellen könn(t)en und damit auch der selbstkritischen Frage: welche Gesellschaft für Aktuelle Kunst?
Seit Kunst im öffentlichen Raum 1973 als Senatsprogramm die Kunst am Bau ablösend in Bremen verankert wurde, stellt sie sich die Frage: Welche Rolle spielt sie in öffentlichen Räumen und ihren sozialen, politischen und planerischen Zusammenhängen? Die Antworten und der Umgang damit sind ebenso in Bewegung wie der öffentliche Raum und erfolgen mal mehr, mal weniger (selbst-)kritisch. Die Projekte, die die GAK seit 1998 unregelmäßig im, für und als öffentlichen Raum realisiert hat, nehmen mit verschiedenen Schwerpunkten ebenfalls darauf Bezug. Im ersten Teil von Doch alle eine Insel? im Mai und Juni 2023 lag der Fokus auf Niemand ist eine Insel (2003), worauf sich auch der Titel bezieht. Im jetzigen zweiten Teil ergänzen Beiträge zu A Lucky Strike. Kunst findet Stadt (2005) die Ausstellung. So nähern wir uns der Geschichte der GAK an, der Stadt und wie darin Kunst als öffentliche Praxis stattfinden kann.
Im Mai und Juni 2023 waren im Rahmen von Teil 1 unter anderen die Berliner Hefte zur Geschichte und Gegenwart der Stadt zu Gast und haben über die Finanzialisierung der Stadt gesprochen, über das Zusammentragen von Wissen, sein Teilen und Publizieren und welche Handlungsstrategien sich daraus ableiten, um Stadt zurück zu erlangen. Elena Ishchenko hat einen Vortrag gehalten über koloniale Monumente und Gegenmonumente als Form eines Umgangs mit ihnen. Kunst und ihre Institutionen als Hebel zur konkreten Veränderung von politischen Konzepten und den mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen und medialen Urteilen wiederum waren Thema von Suzanne Lacys und Alistair Hudsons Austausch. In der Ausstellung zeigen wir Auszüge aus diesen Beiträgen und setzen die Dialogreihe genannten Veranstaltungen weiter fort – siehe Termine unten.
Die Ausstellung bringt fünf Künstlerinnen zusammen, die sich unter dem gemeinsamen Stichwort der oben schon genannten Repräsentation betrachten lassen.
Die Serie Blumensprengungen von Annette Wehrmann (1961-2010) ist in den 1990er Jahren entstanden. Der Titel der konzeptuellen Aktion sagt zusammen mit der fotografischen Dokumentation eigentlich schon alles. Wehrmann setzte sich in ihren Arbeiten zwischen Konzept und Aktion humorvoll und performativ mit Stadt, Gesellschaft, ihren Normen und ihrer Ordnung auseinander.
Chris Reinecke (*1936, lebt in Düsseldorf) hat sich seit Beginn mit ihrer Umgebung, mit sozialen Bedingungen und Prozessen beschäftigt. Diese Prinzipien liegen auch ihren aktuellen Arbeiten zu Grunde, in denen sie sich intensiv mit dem Bild auseinandersetzt, bzw. den Bildern, ihrem Entstehen und ihrem Auseinanderbrechen. Ihre Arbeit ist stets Prozess. Sie bearbeitet, reorganisiert, zerschneidet und setzt sie als Kartografien des Wahrgenommenen neu zusammen.
Auch Sonia Gomes (*1948, lebt in Sao Paulo) fügt zusammen und verwebt in ihren Arbeiten, allerdings auf sehr andere Weise: Jedes Material erzählt eine eigene Geschichte, die Elemente zusammen dann eine weitere, jedoch ohne sich in eine lineare Einheit zu fügen. Die Werke, die hier als Druckedition versammelt sind, basieren auf blätterbaren und materiell vielfältig erfahrbaren Büchern, in denen sie Märchen, z.B. Schneewittchen der Gebrüder Grimm, mit ihrer Identität als schwarze, brasilianische Künstlerin verschränkt.
Für ihre Sci-Fi Dystopie hat Loretta Fahrenholz (*1981, lebt in Berlin) mit der Ringmasters Crew aus New York gedreht. Deren spezifischer Tanzstil des „flexing“, „bone-breaking“, „pauzing“ und „connecting“ bestimmt die von der Crew entwickelte Choreographie in einem post-katastrophischen Stadtraum: Hurrikan Sandy war gerade auf New York getroffen und fließt als buchstäbliche, dokumentarische Realität in den Film ein ebenso wie eine apokalyptische Computerspielästhetik und alltägliche, gewaltvolle Erlebnisse. Die Crew-Mitglieder werfen im Dialog mit dem filmischen Auge Fragen danach auf, welche Erinnerungen und Erfahrungen ihre Körper bewegen und zu dem gleichermaßen fragilen wie brutalen Tanzstil führen.
Ganz anders, aber auch vom Tanz ausgehend ist der Film Pivot (zu deutsch: Angel- oder Wendepunkt) von Tarona (*1985 Curaçao, lebt in Rotterdam). Im Film spielt der Blick (gaze) eine spezifische Rolle und führt oftmals zu einer auf bestimmte Weise zugeschnittenen und zugeschriebenen Darstellung. Hier setzt Tarona an, um eine selbstbestimmte Darstellung, einen selbst bestimmten Raum und auch eine selbst bestimmte Zeitlichkeit zu entwickeln: das Videobild verlangsamt sich im Laufe der Zeit mehr und mehr.
Die Dialoge bestehen aus privaten oder öffentlichen Treffen und Gesprächen einer Gruppe von Bremer Künstler*innen mit externen Gästen. Überlegungen, die in der Gestaltung dieser Treffen eine Rolle spielen, sind das Verhältnis zwischen Gastgeber*in und Gast, ein geteiltes Fremd-Sein sowie verschiedene Formen der Bewegung. Darüber hinaus unterscheiden sich die jeweiligen Schwerpunkte. Die Einladung der GAK an die Künstler*innen war dabei offen und ohne Erwartung einer unmittelbaren Leistung oder eines Produkts.
Ausstellung: Loretta Fahrenholz, Sonia Gomes, Chris Reinecke, Tarona, Annette Wehrmann
Dialoge: Hodan-Ali Farah, Aria Farajnezhad, Anneli Käsmayr, Till Krause, Effrosyni Kontogeorgou, Bubu Mosiashvili, Nyabinghi Lab, Claudia Piepenbrock, Tim Reinecke, Dana Reina Téllez, Tropez, Doris Weinberger
Veranstaltungen
Do, 07. 09., 18-21 Uhr
Käsmayr, Krause & Weinberger
Im Bürgerpark
Gehen, Sprechen, Essen, Hören
> Gruppengröße begrenzt, Anmeldung in der GAK erforderlich
Fr, 08.09., 19 Uhr
Doch alle eine Insel? (Teil II)
Eröffnung
Do, 21.09., 17-20 Uhr
Hodan-Ali Farah & Dana Reina Téllez + Nyabinghi Lab (Saskia Köbschall, Anguezomo Mba Bikoro)
Weaving Roots: Ein lautes und stilles Gespräch/Spaziergang über (städtischen) Raum, koloniale Vergangenheit, Bewegung, Dekolonialität und das Imaginäre
> Keine Anmeldung erforderlich, bitte seien Sie pünktlich am Treffpunkt
Do, 28.09., 16-18
Sophie Boysen (Tropez, Berlin), Effrosyni Kontogeorgou, Doris Weinberger
Hal över Tropez
Gespräch, Bewegung und Spiel zum Badeort als Heterotopie, Körperkulturen, Brüche des Alltags und Kunst als Teil von Freizeit
> Gruppengröße begrenzt, Anmeldung in der GAK erforderlich
Do, 02.11., 18:30 Uhr
Doch alle eine Insel? (Teil II)
Kuratorinnenführung mit Annette Hans
Förderung
Der Senator für Kultur der Freien Hansestadt Bremen