„Most artists still produce to be experienced physically in space by somebody who is bodily present. This is something the World Wide Web won’t ever be able to replace. The increasing pressure of information on the experience of art has had artists running back for very material types of production, for very artisanal types of production.“ (Dieter Roelstrate, Gespräch in der Kunsthalle Wien, 26. Juni 2016)
In Zeiten, in denen zeitgenössische Kunst verstärkt die Bedingungen und Ästhetiken virtueller Realitäten reflektiert, posthumane Theorien virulent sind und die Digitalisierung der Welt eine Faszination an Oberflächen und gefundenen Bildern geschaffen hat, wird parallel eine Kunstproduktion offensichtlich, die bewusst haptische Materialien und (kunst-)handwerkliche Herstellungsprozesse einsetzt.
Das zweiteilige Ausstellungsprojekt „Further Thoughts on Earthy Materials“ in GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen und Kunsthaus Hamburg untersucht, welche Fragestellungen der Hinwendung zu den Techniken und dem Material der Keramik in der künstlerischen Produktion des 21. Jahrhunderts zugrunde liegen. Was sagt es über unsere Sicht auf die Welt, wenn sich Künstler_innen in Zeiten von Globalisierung und World Wide Web verstärkt einem Material zuwenden, das nicht nur als älteste handwerkliche Technik der Kulturgeschichte gilt, sondern auch eine große Tradition im Bereich der angewandten Kunst vorzuweisen hat? Das erneute Interesse an handwerklichen Techniken und physisch greifbarem Material in der Kunst des vergangenen Jahrzehnts offenbart jedoch nicht ausschließlich eine Gegenbewegung zu unserer digitalisierten und globalisierten Gegenwart, sondern bezieht deren vielfältige Aspekte in zahlreichen Beispielen explizit mit ein. Andere Ansätze wieder greifen die dem keramischen Material innewohnenden Konnotationen von Hobby-Kunst, esoterischer Selbstverwirklichung oder aus dem angewandtem (Design-)Bereich auf. In jedem Fall zeigt sich in der Kunstproduktion der letzten zehn Jahre ein Interesse an der Keramik und ihrer archaischen Beschaffenheit, ihren handwerklichen Herstellungsprozessen und ihrer entschleunigten Produktion.
Die Ausstellung „Further Thoughts on Earthy Materials“ versammelt Arbeiten einer jüngeren Künstler_innengeneration, die ungewöhnliche Wege im Umgang mit keramischem Material gehen. Arbeiten, die nicht für ein Revival von Traditionen oder eine künstlerische Rückwärtsbewegung stehen, sondern für neue Wege mit traditionellen Verfahren und Themenstellungen. Die Kapitel in Bremen und Hamburg widmen sich dabei unterschiedlich gelagerten Aspekten in zwei Gruppenausstellungen. In der GAK liegt der Fokus auf der Präsenz des Körpers. Das Kunsthaus setzt sich mit zeitgenössischen Technologien und Produktionsprozessen auseinander.
Das Ausstellungskapitel in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen nimmt eine Prämisse in den Blick, die dem erdhaften Materialien bereits inhärent ist: den Körper. So zeigt sich die Anwesenheit des Körpers im klassischen keramischen Herstellungsverfahren, indem das Material mit den Händen geformt und aufgebaut wird, die Produzent_innen unvermeidlich Spuren hinterlassen und sich so im Objekt abbilden – was im Ergebnis den Unikatcharakter des Entstandenen wesentlich ausmacht. Aufgrund der dem keramischen Prozess innewohnenden Körperverbundenheit scheint es daher nur folgerichtig, dass der Körper in vielen künstlerischen Auseinandersetzungen mit der gebrannten Erde auch zu einer inhaltlichen Bezugsgröße wird.
In der GAK-Ausstellung äußert sich diese im befragten Material selbst angelegte Perspektive im klassischen keramischen Objekt ebenso wie in der installativen Anordnung, in Film, Fotografie, Audioeinspielung, Diaprojektion oder Performance. Ähnlich weit gefasst sind die Themenstellungen, mit denen körperliche Aspekte mithilfe von Lehm, Ton oder Erde untersucht werden. Die Arbeiten im GAK-Kapitel von „Further Thoughts On Earthy Materials“ verorten sich sowohl im Intuitiven als auch im Rationalen, in der Abstraktion als auch in der Gegenständlichkeit. Körperabbilder, -zustände, -verfremdungen, –grenzen oder -wahrnehmungen werden von unterschiedlichen Perspektiven eingekreist. Fragen nach Körperoptimierungen in neoliberalen Zeiten, der Grenze zwischen Außen- und Innenwahrnehmung oder Geschlechterzuschreibungen werden ebenso verhandelt wie nach dem Verhältnis von Mensch und Tier oder politischen Zuständen.
F. Cirillo
William Cobbing
Chris Curreri
Charlotte Dualé
Kasia Fudakowski in Zusammenarbeit mit Real Madrid
Asana Fujikawa
Anna Herms
Nina Hoffmann & Kathrin Sonntag
Judith Hopf
Kris Lemsalu
Alex Müller
Andrej Polukord
Alberta Saukaitytė
Irene Strese
Doris Weinberger
Jesse Wine
Kuratiert von
Janneke de Vries
in Kooperation mit
Katja Schroeder, Kunsthaus Hamburg
Publikation
in Vorbereitung
Jahresgaben
Andrej Polukord: Oft, sehr oft, finde ich viele künstliche Pilze, 2018
Asana Fujikawa: Ein kleiner Gott, der hilft, Sie und Ihre Geliebte in Ihren Nachtträumen zusammen reisen zu lassen, 2018
Edition
Chris Curreri: Untitled (Clay Portfolio), 2013
Veranstaltungen
Fr 14.09.18, 19 Uhr
Eröffnung
Andrej Polukord: Unveiling of the monument
Performance
Donnerstags 17–19 Uhr
Doris Weinberger: Homo hapticus
Partizipatorische Aktion
Do 20.09.18, 19 Uhr
Führung mit Sarah Maria Kaiser
Mo, 08.10.18, 14-18 Uhr
TON FORMEN
Kinderworkshop
Di 16.10.18, 19 Uhr
Alex Müller: Der Takt vom Orchester
F. Cirillo: She’s a pioneer
Performances und Gespräch
Do 01.11.18, 19 Uhr
Irene Strese: Tableware
Do 08.11.18, 19 Uhr
Francesca Gavin: Misshapen Clay. How Emerging Artists are Rethinking Ceramics
Vortrag (en)
Do 22.11.18, 19 Uhr
Führung mit Sarah Maria Kaiser
Förderung
Der Senator für Kultur, Freie Hansestadt Bremen, Stiftung Kunstfonds, British Council, Hypo-Kulturstiftung, Hamburgische Kulturstiftung, LCI Lithuanian Culture Institute