Mattia Denisse wurde 1967 in Frankreich, in Blois geboren, der Stadt von Jean Eugène Robert-Houdin (1), Denis Papin (2) und René Guénon (3). Seit 1999 lebt er in Lissabon und unternahm zahlreiche Reisen in das brasilianische Amazonasgebiet und auf die Kapverdischen Inseln. Seine Zeichnungen, Notizen und Beschreibungen, die auf den Reisen entstanden, ähneln denen eines Feldforschers. Sie dokumentieren Eindrücke von exotischen Landschaften und Vegetationen, aber eben auch von Mythen und kollektiven Erzählungen, die Eingang in seine fantastischen Bild- und Gedankenwelten finden. Dazu spielen Einflüsse der französischen Avantgarde-Literatur eine wichtige Rolle – zu Alfred Jarry, Gründungsvater der „Pataphysik“ als eine „Wissenschaft von den imaginären Lösungen, die die Denkskizzen symbolisch mit den Eigenheiten von Objekten, beschrieben durch ihre Möglichkeit, in Zusammenklang bringt“, zu Raymond Roussel oder dem früh verstorbenen Schriftsteller René Daumal. So begann laut Denisse seine Reiselust in früher Kindheit mit Daumals unvollendetem Roman „Le Mont Analogue“ (1939) über einen Berg, der geographisch nicht verortbar ist und so faktisch nicht existiert, dessen mythischer Gipfel aber dennoch erreicht wurde.
In den über hundert zeichnerischen und druckgrafischen Werken der Ausstellung aus den vergangenen zehn Jahren verschmelzen autobiografisch Gesehenes, Erinnertes und Imaginiertes mit pata- und metaphysischen Spekulationen zu einer einzigartigen visionären Reise. Ob der Betrachter dabei auf Affen trifft, die als Anthropologen die Welt der Menschen betrachten, oder auf Eidechsen, die dem Alkoholismus verfallen sind: Die Blickwinkel drehen und wenden sich, und absurder Humor, karnevaleske Wortspiele und surreale Übersteigerung zeigen nicht nur den künstlerischen, sondern auch subversiven Wert von Mattia Denisses Phantasien.
„STATIV. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker“ ist die erste Werkschau des Künstlers in Deutschland. Die Ausstellung ist als ein Buch in drei Kapiteln angelegt, ohne Anfang und Ende. Sie gibt keine Richtung vor sondern soll als eine literarische Erweiterung von Mattia Denisses tautologischen Werken, als ein zwischen Philologie und Parodie, Wahrheit und Fiktion schwebendes Geflecht von Bezügen und Anspielungen gelesen werden. So bietet sie eine andere Form der Annäherung an das, was nicht zu sehen, nicht niedergeschrieben ist und als magisches Objekt von seinem Betrachter Besitz ergreifen mag.
(1) 1805-1871. Zauberkünstler, der unter anderem den berühmten Trick des „ätherischen Knaben“, Vorläufer der „Schwebenden Jungfrau“, erfunden hat.
(2) 1647-1712. Physiker, Mathematiker und Erfinder, der zu Vakuum, Dampfkraft und Wasser gearbeitet hat. Eine seiner Erfindungen war der Dampfkocher.
(3) 1886-1951. Autor von Schriften zur Metaphysik und Esoterik.
Kuratiert von
Regina Barunke
Publikation
Mattia Denisse. STATIV. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker (Ausst. Broschüre, Hrsg. R. Barunke, GAK, 2019)
Jahresgabe
Mattia Denisse, Jahresgaben 2019
Veranstaltungen
Fr 14.06.19, 19 Uhr
Eröffnung. Einführung von Regina Barunke, und
Nuno de Brito Rocha: Who names things: Disambiguation in the work of Mattia Denisse (en)
Impulsvortrag
Do 04.07.19, 19 Uhr
Ken Jacobs: Tom, Tom, the Piper’s Son, 1969/71
Film
Do 11.07.19, 19 Uhr
Maximilian Gilleßen und Anton Stuckardt (zero sharp): Symbolische Berge, imaginäre Lösungen. Vom Clinamen
Gespräch
So 14.07.19, 11 Uhr
Führung mit Regina Barunke, und
Alejandro Jodorowsky: Der Heilige Berg, 1973
Film
Do 01.08.19, 19 Uhr
Anja Dreschke: Visual Field Notes. Zeichnen als ethnographische Methode und künstlerische Praxis
Vortrag
Sa 03.08.19, 11 Uhr
Bremer Atelier II: Jochen Lempert
Atelierbesuch
Gast: Anja Dreschke
Förderung
Der Senator für Kultur, Freie Hansestadt Bremen, Calouste Gulbenkian Foundation, Waldemar Koch Stiftung, Beate + Hartmut Schaefers Stiftung, Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V., Clean Run Service Team, Bremen
Besonderer Dank an: Zentrum für Künstlerpublikationen. Weserburg Museum für moderne Kunst (Leihgaben: Collection Guy Schraenen, Fonds Raymond Roussel; Fonds Anne Deguelle), Sammlung der Karin und Uwe Hollweg Stiftung (Leihgabe: Alfred Jarry), sowie THW Technisches Hilfswerk, Bremen, und Farbanalyse, Köln