Deniz Ova und Fatma Çolakoğlu sprechen in ihrem Vortrag über Salt, eine 2011 in Istanbul gegründete Kulturinstitution. Sie geben anhand des aktuellen und kommenden Programms Einblick in deren kulturelle und archivarische Arbeitsweisen. Einen Schwerpunkt legen Ova und Çolakoğlu auf alternative und spekulative Formen des Archivierens, die den Raum öffnen für neue Geschichten und andere Akteur:innen, die in den bestehenden institutionellen Archiven fehlen.
Salt hat mit der Kadir Has University (Istanbul) ein vierjähriges Archiv- und Rechercheprojekt durchgeführt, um gemeinsame Programme des Voneinander-Lernens zu entwickeln. Im Anschluss an das Projekt wurden die gedruckten Bände der unvollendeten Istanbul Enzyklopädie des Historikers und Autors Reşad Ekrem Koçu (1905-1975) und tausende damit in Zusammenhang stehende Dokumente digitalisiert. In diesem Jahr werden diese öffentlich zugänglich gemacht. Das Istanbul Enzyklopädie-Archiv ist eine Art “Labor für Medienarchäologie”: es gibt Einblick in Koçus Arbeitsmethoden und die Entstehung einer mehrbändigen, von einer Vielzahl von Autor:innen verfassten Publikation, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit beschränkten Mitteln produziert wurde. Ausgehend von diesem Projekt geht der Vortrag der Frage nach, wie heritage institutions auf die dringliche Notwendigkeit reagieren können, dass solche Archive lokaler Gemeinschaften konserviert und betreut werden müssen. Weiterhin diskutieren Ova und Çolakoğlu Formen der Zusammenarbeit zwischen denjenigen, die ein Archiv ins Leben rufen, denjenigen, die es bewahren und denjenigen, die es benutzen und wie hierdurch (teilweise dank der Digitization) neue Interpretationen im Archiv ermöglicht und Geschichten ans Licht gebracht werden, die von den kulturellen Institutionen bisher übersehen wurden.
Über Salt
Salt wurde 2011 von der Garanti BBVA gegründet. Die Kulturinstitution entwickelt innovative Programme mit dem Ziel, eine zugängliche und offene Plattform zu sein, auf der sich ihre Nutzer:innen und Besucher:innen begegnen, recherchieren und ausdrücken können. Die Programme von Salt umfassen Ausstellungen, Publikationen, digitale Projekte, Vorträge, Konferenzen, Filmvorführungen, Performances und Workshops. Salt untersucht die Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Disziplinen, Kernbereiche sind Kunst, Design und Gesellschaft. Die Institution unterstützt das Entstehen von Wissen, indem sie den Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart pflegt und sich der gegenwärtigen Kultur auf neuen Wegen und mit neuen Interpretationen zuwendet. Salt pflegt auch ein wachsendes Archiv und eine Bibliothek, deren Inhalte sich auf die Türkei sowie die Geografien des östlichen Mittelmeerraumes und Osteuropas vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart konzentrieren. Die Rechercheprojekte von Salt ermöglichen das Zusammen-Lernen und gemeinsames Diskutieren.
Die Aktivitäten von Salt finden in seinen beiden Standorten in Istanbul und online statt. Salt Beyoğlu befindet sich auf der Istiklal Straße und umfasst Ausstellungsräume, ein Walk-in Kino, eine Küche, einen Wintergarten und den Buchladen Robinson Crusoe 389. Salt Galata befindet sich auf der Bankalar Straße in Karaköy und umfasst die Salt Research genannte spezialisierte Bibliothek, die Salt Research Ferit F. Sahenk Hall für registrierte Forscher:innen, ein Auditorium, Ausstellungs- und Veranstaltungsräume sowie das Ottoman Bank Museum, den Robinson Crusoe 389 Buchladen, ein Café und das Restaurant Neolokal.
Die Räumlichkeiten und die Programme von Salt sind kostenfrei. Seit 2013 ist Salt Mitglied der L’Internationale, einem Bündnis von sieben bedeutenden Kunstinstitutionen in Europa.
Deniz Ova ist seit 2022 die Geschäftsführerin von Salt. Zuvor war sie von 2013 bis 2022 Direktorin der Istanbul Design Biennale bei der Istanbuler Stiftung für Kultur und Kunst (İKSV). Dort arbeitete Ova ab 2007 als Projektleiterin für die Abteilung Internationale Projekte, die sie von 2010 bis 2013 leitete, und Festivals und Veranstaltungen in verschiedenen europäischen Städten entwickelte und organisierte. Außerdem koordinierte sie den Pavillon der Türkei auf der Kunst-Biennale in Venedig, die Residenz „Turquie“ in der Cité Internationale des Arts Paris und die Teilnahme der Türkei an der Londoner Design-Biennale im Jahr 2016. Zwischen 2014 und 2022 war sie Beraterin des türkischen Pavillons auf der Architektur-Biennale in Venedig. Sie war Gastdozentin für Eventmanagement an der Fakultät für Kunst und Design der Istanbul Kültür Universität sowie der Fakultät für Bildende Künste der Yeditepe Universität und unterrichtet derzeit Kunst- und Designkultur an der Fakultät für Grafikdesign der Mimar Sinan Fine Arts Universität. Vor ihrer Tätigkeit beim İKSV arbeitete Ova als Regieassistentin bei mehreren Theaterproduktionen am Staatstheater Stuttgart und der Württembergischen Landesbühne und leitete Festivalveranstaltungen in Stuttgart. Ova hat ihr Studium in Politikwissenschaft und Linguistik an der Universität Stuttgart mit einem Master abgeschlossen und ist Stipendiatin des Salzburg Global Seminar und der Stiftung Mercator „Turkey Europe Future Forum“.
Fatma Çolakoğlu kuratiert seit über fünfzehn Jahren Ausstellungen sowie Film- und Videokunst. 2005 baute sie die Filmabteilung des Istanbuler Museums für Moderne Kunst auf. Von 2008 bis 2018 war sie für die Film- und Videoprogramme von Pera Film verantwortlich und leitete die Kommunikationsabteilung des Pera Museums in Istanbul. Nach ihrer Tätigkeit als stellvertretende Direktorin bei Salt hat sie die Leitung für Forschung und Programme übernommen. In den letzten Jahren war sie Mitglied der internationalen Kurzfilmjury von Berlinale Shorts 2020 und Istanbul Experimental und nahm an Festivals wie Proyector 13. Festival de Videoarte und Videonale Bonn teil. Sie interessiert sich für die kritische Beziehung zwischen Bewegtbild und Sozialwissenschaften und ist fasziniert von der Überschneidung von Kunst, Wissenschaft und Technologie und wie sie die Welt verändern. Ihr Forschungsgebiet umfasst insbesondere Bildgestaltung, Sprachgebrauch, Netzwerke, Vermittlungstheorien, die politischen und kulturellen Dimensionen von Medienlandschaften und zeitgenössische Kunstpraktiken.
Çolakoğlu hat Film- und Medienkunst am Emerson College in Boston, USA, (BA) und Theaterregie an der Goldsmiths University of London (MA) studiert.
Eingeladen von Elburuz Fidan
In Zusammenarbeit mit dem Binational Artistic PhD Program der Hochschule für Künste Bremen