In einem wegweisenden Beitrag zur empirischen Schlafforschung prägte der französische Physiologe Henri Piéron (1913) den Begriff vom „Schlaf in der Flasche“. Er bezeichnete damit das spektakuläre Versprechen, das die Pharmaindustrie denjenigen gab, die auf die moderne 24/7-Gesellschaft mit nervöser Unruhe und Schlaflosigkeit reagierten. Der Vortrag untersucht historische Werbung für Schlaftabletten, Materialien aus der visuellen Kultur, ausgewählte epistemische Genres und Medien der Schlafforschung sowie die literarische Reflexion dieser Praktiken. Er vermittelt zudem, wie Schlafmittel seit Anfang des 20. Jahrhunderts das Potenzial erreicht haben, Selbstbewusstsein gleichsam zu generieren und zu zerstören. Fragen zu Geschlecht, Handlungsfähigkeit und kulturellen Ängsten gegenüber Produktivität werden dabei zutage treten.
Sebastian P. Klinger ist Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er forscht zur Subjektivitätstheorie, dem Leib-Seele Problem, dem epistemischen Potential ästhetischer Erfahrung und den Realitäten der „gebrechlichen Einrichtung der Welt“ (wie Kleist es nannte), insbesondre in der deutschsprachigen Moderne. Sein Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit Schlaf, einem der letzten verbliebenen Rätsel unseres Alltags. Im Zentrum seiner Arbeit stehen Schlafexperimente in Literatur, Wissenschaft und Gesellschaft um 1900. Im Gegensatz zu verwandten Studien über Träume zeigt seine Dissertation, dass der moderne Schlaf mit medizinisch und pharmazeutisch produzierten Formen von Subjektivität unauflöslich verflochten ist. Im literarischen Werk von Autoren wie Kafka, Schnitzler, Altenberg, Rilke und Proust hat diese Subjektivität dann wiederum neue Formen des Schreibens in der ersten Person hervorgebracht. Klinger unternimmt Grenzgänge zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen, Medien und Materialien. Seine Dissertation ist die erste interdisziplinäre Studie, die die experimentelle und die erfahrungsbezogene Dimension des Schlafs durch einen historisch informierten und methodisch reflektierten Dialog zwischen Literatur, Wissenschaft und materieller Kultur erschließt. Klinger hat als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes in Oxford studiert und promoviert derzeit in Princeton. Er pendelt zwischen Berlin und New York.
Elena Zanichelli, Kunsthistorikerin, Kunstkritikerin und Kuratorin, lehrt und forscht seit 2018 als Juniorprofessorin Kunstwissenschaft und Ästhetische Theorie am Institut für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik der Universität Bremen sowie am Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender. 2012 promovierte sie an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „Privat – bitte eintreten! Rhetoriken des Privaten in der Kunst der 1990er Jahre“. Derzeit beforscht sie den künstlerischen und (massen-)medialen Wandel von Familienbildern seit der Moderne und arbeitet (zusammen mit Valeria Schulte-Fischedick) an einer Anthologie zum kunsthistorischen Begriff der Formlosigkeit.
Online-Vortrag im Rahmen der Ausstellung „gerlach en koop. Was machen Sie um zwei? Ich schlafe.“ mit einer Einführung von Elena Zanichelli
In Kooperation mit dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender und dem Institut für Kunstwissenschaft—Filmwissenschaft— Kunstpädagogik, Universität Bremen
Förderung
Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Fonds Soziokultur und NEUSTART